Strafbarkeit bereits durch das gezielte Suchen nach und das anschließende Betrachten von Kinderpornografie

Eine häufige Erklärung von Mandanten, die mich wegen des gegen sie erhobenen Verdachts des Besitzes von Kinderpornografie konsultieren und bei denen auf dem Computer entsprechende Dateien gefunden wurden, besteht darin, das es sein könne, dass man „mal solche Seiten angeklickt“ habe – niemals aber habe man solche Seiten gespeichert. Eine kurze Zeit lang konnte man mit dieser Einlassung die Einstellung des Verfahrens erreichen, weil die Staatsanwaltschaften und Gerichte unter dem Unternehmensdelikt des Besitzverschaffens von Kinderpornografie nicht das bloße Betrachten von entsprechenden Bildern verstanden.

Allerdings hat das OLG Schleswig bereits im Jahre 2005 klargestellt, dass eine solche Sichtweise zu eng ist.

Der technische Hintergrund sind inzwischen allgemein bekannt: Die zuletzt angesehenen Seiten einer Browser-Sitzung, inklusive der Bilder auf dieser Seite, werden unter den so genannten „Temporary Internet Files“ ohne Zutun des Nutzers gespeichert. Auf diese Weise kann bei einer forensischen Untersuchung des Computers nachvollzogen werden, welche Seiten der Nutzer angesehen hat. In der
Browser-Historie kann nachvollzogen werden, welche Seitenkennungen der Nutzer eingegeben hat.

Finden sich in den „Temporary Internet Files“ kinderpornografische Bilder, so ist das zwar strafrechtlich kein Besitzverschaffen von Kinderpornografie, denn man muss zugunsten des Beschuldigten annehmen, dass er von der automatischen Speicherung durch seinen Rechner nichts wusste oder dies jedenfalls nicht aktiv in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Zudem wäre für die Besitzverschaffung eine gewisse Dauer des Besitzes erforderlich, der bei einem bloßen Betrachten der Bilder nicht gegeben ist.

Allerdings ist der Tatbestand des Besitzverschaffens von Kinderpornografie (§ 185 Abs. 4 Satz 1 StGB) spätestens seit dem Beschluss des OLG Schleswig vom 15.09.2005 (Az. 2 Ws 305/05) weit zu fassen. Es handelt sich bei diesem Tatbestand um sein so genanntes Unternehmensdelikt. Danach wird  bestraft, wer es unternimmt, verbotene Inhalte im Internet aufzufinden und aufzurufen, um sie am Bildschirm seines Computers betrachten zu können. Dies ist in dem beschriebenen Fall unzweifelhaft der Fall. Die Gegenmeinung lehnt eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift aus zwei Gründen ab: Zum Einen seien die auf dem Bildschirm betrachteten Inhalte zu flüchtig, da sie mit dem Schließen der Seite wieder verschwänden. Auch das Sich-Verschaffen erfordere aber eine gewisse zeitliche Dauer, die hier nicht gegebnen sei. Zum Anderen reiche eine so weite Ausdehnung des Tatbestandes bedenklich nahe an das „Orwell’sche Gedankenverbrechen“ heran; es sei eines Rechtsstaates unwürdig, das bloße Betrachten von Bildern (oder den Versuch dies zu tun) als kriminelles Unrecht zu verfolgen.

Anders das OLG Schleswig: Es erkennt der Dauer des Besitzes lediglich eine untergeordnete Rolle zu und begründet dies mit der umfangreichen und differenzierten Rechtsprechung zum Besitz von Betäubungsmitteln, wo bereits eine „gewisse Dauer“ für die Annahme des Besitzes reiche. Dies entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeführt habe, für den Begriff des Besitzes seien die Grundsätze und die Rechtsprechung aus dem Betäubungsmittelstrafrecht heranzuziehen. Zudem seien die betrachteten Bilder nicht aus sich heraus „flüchtige Inhalte“. Dazu würden sie nur aufgrund der autonomen Entscheidung des Betrachters. Die Entscheidung, wie lange eine Seite betrachtet werde, ob und welche Inhalte vergrößert oder nach dem Schließen nochmals aufgerufen würden, liege allein beim Betrachter, der insoweit äußeren Einflüssen nicht unterliege. Flüchtig seien die Inhalte einer Internet-Seite also nur dann, wenn der Nutzer dies selbst so wolle. Wer also eine gezielt gesuchte Internetseite kinderpornografischen Inhalts öffne und diesen Inhalt auf dem Bildschirm betrachte, mache sich wegen der Verschaffung des Besitzes von Kinderpornografie strafbar.

Das OLG Schleswig sieht sich auch in Einklang mit dem Zweck des Strafgesetzes, das ebenfalls aus dem Betäubungsmittelstrafrecht übernommen ist. Ziel ist es, eine möglichst lückenlose Strafbarkeit im Zusammenhang mit dem Umgang von Kinderpornografie zu erreichen. Der Anreiz durch den Konsum von Kinderpornografie entstehe für Hersteller dieses Material und für die Betreiber der entsprechendes Internetseiten unabhängig davon, ob der Konsument die Bilder speichere oder nicht.

Besondere Bedeutung erlangt diese Entscheidung auch deswegen, weil nach dieser Auffassung sich auch derjenige strafbar macht, der eine gezielt gesuchte Internetseite kinderpornografischen Inhalts zu öffnen versucht, und dabei wegen technischer Probleme scheitert oder etwa den Versuch deswegen abbricht, weil er gestört wird. Hierbei handelt es sich nicht etwa um einen Versuch, sondern um ein vollendetes Delikt!
Ebenso wird bestraft, wer ein (noch) nicht betrachtetes kinderpornografisches Bild bewusst in den Speicher seines Computers lädt, um es gegebenenfalls später anzuschauen. Der Tatbestand ist in dem Moment erfüllt, wo das Bild in den Arbeitsspeicher des Nutzers gelangt – unabhängig davon, ob er dies bereits wahrgenommen, geschweige denn das Bild geöffnet hat.

Reiner Besitz (§ 185 Abs. 4 Satz 2 StGB) liegt dann vor, wenn der Nutzer gerade nicht gezielt nach Seiten mit kinderpornografischem Inhalt gesucht hat, sondern zufällig auf solche stößt und die Inhalte dann auf seinem Rechner speichert.

Um der Strafbarkeit zu entgehen, muss sich der Nutzer beim zufälligen Gelangen auf
eine Seite mit kinderpornografischem Inhalt sofort von dem inkriminierten Gegenstand

  • hier den kinderpornografischen Dateien – trennen. Er muss also die Seite sofortverlassen und etwaige automatisch gespeicherte Dateiinformationen aus seinen„Temporary Internet Files“ löschen.

Von dem weitergehenden Vorschlag des Gerichts, solche Dateien bei der Polizei abzuliefern, rate ich ab. Zum einen zieht an auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden auf sich. Zum anderen muss man hierfür die Dateien in irgendeiner Weise speichern, um sie an die Polizei übermitteln zu können. Und dies ist

  • beim zufälligen Aufrufen solcher Informationen – wie gerade beschrieben strafbar.

 

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