Verhindern Internetsperren für Kinderpornografie den sexuellen Missbrauch von Kindern?

Die Notwendigkeit eines Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (sog. Internetseitensperrung) wird unter anderem damit begründet, dass einen sehr lukrativen Markt für kinderpornografische Bild- und Videodateien gebe. Daran bestehen jedoch begründete Zweifel. Immer stärker verdichtet sich der forensische Eindruck, dass nahezu beliebig viel kinderpornografisches Material kostenlos von einem zum anderen Internetnutzer weitergegeben wird – ähnlich wie legale Pornografie auch.

Hierfür scheint es zumindest zwei Gründe zu geben. Zum einen fehlen funktionierende Bezahlsysteme. Es ist heutzutage illusorisch, dass jemand anonym einen Server betreibt und von anderen Internetnutzern Millionenbeträge überwiesen bekommt. Das geht schon deshalb nicht, weil die möglichen Konsumenten nicht mehr bereit sind, online Geld zu bezahlen. Grund hierfür sind die weltweiten Aktionen der Überwachung von bargeldlosen Zahlungsströmen im Internet per Kreditkarte. Auch in Deutschland gab es kürzlich, angestoßen durch die Staatsanwaltschaft Halle („Operation Mikado“), eine intensive Fahndung nach verdächtigen Kreditkartenzahlungen. Dabei wurden sämtliche Kreditkartenkonten auf verdächtige Zahlungen mit bestimmten Indizien (Zahlungsempfänger, Betrag) überprüft. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Fahndungsvariante für zulässig erklärt und klargestellt, dass es sich dabei nicht um eine – im Bereich der niedrigschwelligen Kriminalität des Sichverschaffens von Kinderpornografie unzulässige – Rasterfahndung handelt. Seitdem diese Art der Fahndung und deren Zulässigkeit öffentlich wurde, wird es immer unwahrscheinlicher, dass jemand für Kinderpornos im Internet bezahlt.

Ein zweiter Grund ist, dass es früher tatsächlich einen Markt gab, der durch die Entwicklung des Internets zusammengebrochen ist. Was früher gegen Geld offline, als Foto oder Videokassette, verschickt wurde, ist heute für die Konsumenten der Kinderpornographie kostenfrei im Netz verfügbar: In geschlossenen Foren, in Dateitauschbörsen, über Instant-Messenger. Wer Material besitzt, stellt es über diese Kanäle zur Verfügung. Dort wird es weiterverbreitet, aber auf jeden Fall kostenlos. Wie im Großen der Musik- und Filmmarkt, wurde im Kleinen auch die Struktur dieses illegalen Marktes zerstört.

Schließlich spricht für diese Annahme, dass offensichtlich heute auch immer wieder das gleiche Material getauscht wird. Die Ermittlungsbehörden überprüfen seit einiger Zeit die Inhalte des sichergestellten Materials Dabei fällt auf: Die weitaus meisten Bilderserien und Filmsequenzen, etwa 85 bis 90 Prozent, sind bereits 20 bis 40 Jahre alt. Es ist daher offenbar nicht so, dass Kinder missbraucht würden, nur um solche Filme herzustellen. Das gesamte neuere kinderpornografische Material besteht, dafür spricht sein Inhalt, nicht aus professionell produzierten Sequenzen, sondern aus dem alltäglichen Missbrauch in der Familie, in der Nachbarschaft, in Schulen und in sonstigen privaten Umfeldern. Die Täter dokumentieren den ohnehin stattfindenden Missbrauch. Das verbessert die Situation der Opfer keinesfalls, es hat eine andere Dimension, als wenn Kinder aus kommerziellen Gründen für Filmaufnahmen missbraucht werden.

Bei einer solchen Bestandsaufnahme sind zwei Punkte in Frage zu stellen.

Zunächst wäre hinter die Strafbegründung des Sichverschaffens von Kinderpornografie ein Fragezeichen zu machen. Denn wenn tatsächlich die Nachfrage nach Kinderpornografie nicht zu mehr Missbrauch führt, um diese Nachfrage zu befriedigen, sondern der Missbrauch ohnehin stattfindet, nur die Nachfrage nach dessen Dokumentation steigt, zieht das Argument der Austrocknung eines Marktes nicht mehr. Denn: Selbst wenn keiner mehr Kinderpornografie nachfragte, würde es dennoch zu demselben Maß an sexuellem Missbrauch von Kindern kommen. Es bleibt abzuwarten, ob diese These wissenschaftlich überprüft werden kann, um so die Kritik an dieser Form der Strafbegründung zu untermauern.

Zudem stellt sich die rechtspolitische Frage. Wem würde hier eine Internetzensur helfen? Es wäre an dieser Stelle weit besser, die betreffenden Kinder vor dem alltäglichen Missbrauch zu schützen, zum Beispiel durch aufmerksame Behörden, durch wirksame Sozial- und Familienarbeit und vor allem eine effiziente Strafverfolgung in der realen Welt.

 

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